Zwei Krähen im Hochgebirge

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Mit gemischten Gefühlen machten sich diesen Sommer zwei hochgebirgsunerfahrene Krähen auf den Weg in die Alpen zur Dreiländertour. Stundenlang nur bergauf fahren, Regen, der sich weiter oben in Schnee wandelt, am Lenker fest gefrorene Hände, dunkle Tunneldurchfahrten, platzende Schläuche aufgrund heißgebremster Felgen – auf all diese Dinge mussten sie sich gefasst machen.
[Text und Fotos von Lutz]

Die Daheimgebliebenen sparten selbstverständlich nicht mit fürsorglichen und gutgemeinten Tipps. Unterkühlungen müssen vom Körperstamm her behandelt werden – es wurden die technisch kleinsten Übersetzungen je Gruppe ermittelt und über die unterschiedlichen Steigungsprozente diskutiert. Auf die Dunkelheit in den Tunneln könne man sich vorbereiten, in dem man schon einige Zeit vorher in der Abfahrt ein Auge schließt. Nun ja, bisher haben die beiden Krähen schon den ein oder anderen Kräheflug bei Dauerregen gemeistert – so eine kleine Runde im Dreiländereck von Schweiz, Österreich und Italien sollte doch in jeder Hinsicht zu schaffen sein.

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Auf der Anfahrt nach Scuol (CH) stellte sich jedoch heraus, dass die ach so erfahrenen Krähekollegen über die wesentlichen Gefahrenquellen in den Bergen nicht informiert hatten: Zunächst wurde durch ein Schild vor Schwallwasser gewarnt – eine in den Ardennen und in der Eifel vollkommen unbekanntes Phänomen des plötzlichen Wasseranstieges an kleinen harmlos anmutenden Gebirgsbächen. Auf den Schildern wird davor mit einer überdeutlichen Welle gewarnt – aus vermutlich versicherungstechnischen Gründen wird hier völlig auf Größenrelationen verzichtet – hätte man auf diesem Schild ein Dorf oder eine Person abgebildet, hätte man sich ein deutlich differenzierteres Bild von der Gefahr machen können. Natürlich hatte auch dies keine abschreckende Wirkung auf die Beiden – 20km vor dem Ziel wieder nach Hause zu fahren war vielleicht doch ein wenig übertrieben – zur Beruhigung wurde das Autoradio eingeschaltet, wo vor sich plötzlich auftuenden Gipslöschern und dadurch verunglückten Touristen in den Bergen informiert wurde. Auch stürzen immer wieder unvorsichtige oder glücklose Wanderer mehrere 100m in die Tiefe, es kann einem ein Holder auf den Kopf fallen – und irgendwer macht auch noch Löcher in den Käse. Nach diesen Nachrichten war die Erwartungshaltung an den Fahrradurlaub in den Bergen natürlich entsprechend hoch!

Grundsätzlich galt es vier “beste Bikehotels” – wie Dreiländertour verspricht und hält, mit dem Rennrad zu erreichen – hierzu werden mehrere Routen mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden vorgeschlagen – aufsteigend von A-C. Dies bedeutet, dass man die Wahl von 70.5 km und 1565 Hm bis hin zu 154 km und 3118 Hm hat, wenn man einmal die Varianten der Strecke von Scuol nach Nauders (AT) betrachtet.

Nach gründlichen Erkundigungen sollten die Fahrten leider ohne Zeitmessung und Kontrollstellen erfolgen, was einen Vergleich mit Hotelkontrahenten natürlich schwierig macht. Zusätzlich sollten auch keine teuren und unnützen Suchaktionen erfolgen, falls man sich verspätet. Dies birgt natürlich die Möglichkeit, noch eine kleine Schleife dranzuhängen oder den ein oder anderen auf Krähenausflügen ungern gesehen aber in den Bergen vielleicht notwendigen Jackenwechsel vorzunehmen. Der Einfachheit halber entschlossen sich die Beiden mit den schwierigen C-Touren anzufangen – man kann ja immer noch verringern wenn die Kraft einmal entgegen aller Erwartung nicht reichen sollte.

Soweit die Planung und eines vorneweg: Allen Erwartungen zum Trotz ist nichts Spektakuläres passiert – der sensationslüsterne Leser kann also an dieser Stelle abbrechen. Die Beiden gut gebrieften und vorbereiteten Krähen schafften ihre abgesteckten Runden mit Bravour bei schönstem vorstellbaren Wetter. Auch wurden fernab der Heimat alle Freiheiten ausgenutzt, so wurde mal zu schnell und mal zu langsam in den Berg hinein gefahren – wobei nach Herzenslust hin- und hergeschaltet wurde. In den Abfahren wurden schön sinnlos Körner verbrannt und der belgische Kreisel wurde nach Belieben mal links- mal rechtsrum gefahren.

Die erste Etappe [1] führte von Scuol (CH) nach Nauders (AU). Abgekürzt wurde durch das wunderschöne Kaunertal bis zum Gepatsch-Stausee. Da die Berge dort ein wenig wolkenverhangen waren (und aus keinem anderen Grund) – sparten sich Albrecht und Lutz die letzten 1000Hm bis zum Gletscher und machten sich auf den Rückweg, in der Hoffnung sich im Tal einen leckeren und wohlverdienten Reisfladen teilen zu dürfen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde klar, warum sonst niemand mitgekommen ist – in den Alpen gibt es keine Reisfladen (und nebenbei bemerkt wurden auch keine Dominosteine gesichtet).

Das Hotel in Nauders machte eine Weiterfahrt fast unmöglich. Die Räder waren in einem Keller mit Nummernschloss gesichert – wie sich nun herausstellte besser als die US-Atomraketen (00000000), wem das nicht reichte, der konnte sich noch ein 5kg schweres Kettenschloss ausleihen. Die Fahrradschuhe wurden in ein blinkendes verchromtes Schuhregal gestellt – im Austausch bekam man bequeme Wellnesspantoffeln und als Welcome leckere Erdbeersahnetorte. Alle Versuche von Lutz am nächsten Tag einfach um den Block zu fahren und erneut einzuchecken wurden von Albrecht erfolgreich vereitelt – und so stand unumgänglich die zweite C-Runde [2] nach Sta.Maria an. Nach unserer einzigen Panne aufgrund eines defekten Felgenbandes musste Lutz seine überschüssigen Kuchenkalorien auf einer Abkürzung nach Sulden abarbeiten während Albrecht auf der Franzenshöhe den Kaffee bestellte. Die letzten Höhenmeter des Tages über das Stilfser Joch wurden gemeistert, danach erfolgte schon die Abfahrt über den schönen Umbrailpass in das ruhige Sta. Maria (CH).

Am nächsten Tag [3] konnten der einsame Umbrailpass bergauf genossen werden – leider dauerte diese Auffahrt lediglich eine kurze Stunde. Die Abfahrt Richtung Bormio(I) war ungleich belebter – hier tummelten sich jede Menge Radfahrer, Langläufer, Camper, Mopets und Autos – ein wahrer Rummel – später erfuhren wir, warum: es war Ferragosto, Italiens bedeutendster Feiertag aus heidnischer Zeit. Nach einer kleinen Ziehstrecke durch das Valtellina ging es vorbei an Apfelplantagen (auch wurde der Mortirolo links liegen gelassen) nach Tirano und über den Forcolapass nach Livigno (I). Ein bekanntes Phänomen auf der ein oder anderen Krähetour ist, dass mit viel Improvisationstalent, Geduld und Verständnis das ein oder andere Rad kurzfristig fitgemacht werden muss – das bei diesen Gelegenheiten gesammelte Fachwissen kam auf dieser Etappe einer vorzeigbaren Rennraddame zugute, die die Gefahren, welche von Strassenbahnschienen (hier im speziellen der Berninabahn) ausgehen können etwas unterschätzt hatte.

In Livigno [4] stand ein wohlverdienter Ruhetag an, schliesslich hatte man bis zu diesem Zeitpunkt 350km mit 8500Hm hinter sich gebracht – hier galt es vor allem Kraft für die abschließende Königsetappe nach Scuol zu sammeln – dieses Ziel interpretierten unsere beiden Krähen völlig unterschiedlich. Der eine versuchte sich im 1000Hm-MTB-Bergaufschieben, der andere genoss in einem Ristorante tipico die unmittelbare Aussicht auf den Livigno-See. Die gemeinsame Erfahrung war, dass sich in Livigno augenblicklich unglaublich sportliche junge Menschen (bis auf zwei) aufhielten, die sich intensiv mit MTB-Downhill, Laufen, Schwimmen oder was auch immer beschäftigten.

Livigno-Scuol, der letzte Tag auf dem Rennrad, der mit knapp 160 Km und insgesamt vier Pässen auch der längste Tag werden sollte. Wunderschöne Pässe, traumhafte Landschaften und überraschenderweise von Erschöpfung kaum eine Spur. Doch dann kamen sie, die Dämpfer dieses Tages. Am Albulapass wurde Albrecht von einem auf Rollski trainierenden Skilangläufer überholt, der allerdings von seinem Trainer aus dem Begleitfahrzeug über Megafon zu Höchstleistungen angespornt wurde. Aber auch für Lutz hielt dieser Tag noch etwas bereit: Stolz erzählte er in Bergrün von den bereits bewältigten und noch zu bezwingenden Pässe der heutigen Königsetappe und bekam von der sicher weit über sechzigjährigen Besitzerin des Tante-Emma-Ladens völlig unbeeindruckt eine Rundstrecke mit unzähligen Pässen beschrieben, die sich auf etwa 240 Km addierten – natürlich nicht ohne zu bemerken, dass sie diese Strecke vor 20 – oder sind es vielleicht doch schon 30 – Jahre selbst gefahren sei. Die Beiden trösteten sich damit, dass zu den damaligen Zeiten wesentlich besseres Material gefahren wurde. Damals waren Rennräder viel leichter und hatten bessere Übersetzungen, mehr Gänge etc. Mitten in diese Überlegungen fing es dann auf der Abfahrt vom Flüelapass an zu regnen. Endlich – alles war wieder wie immer!

Notizen:

[1] 1c Scuol-Nauders:134km / 2100 Hm; Kaunertal bis zum Gepatsch-Staussee,
d.h. ohne die letzten 20 Km und 100 Hm.
[2] 2c Nauders-Sta. Maria:98Km / 3000 Hm; Reschenpass, Suldental, Stilfser Joch.
Albrecht aufgrund der Panne ohne Suldental.
[3] 3b Sta. Maria-Livignio:120km / 3300 Hm; Umbrailpass Bormio Tirano, Forcolapass.
[4] XiLutz: Mtb Carosello 28Km 1000Hm / Albrecht: 29,8 Km, 140 Hm
[5] 4c Livigno-Scuol:160 Km / 3000Hm Forcolapass, Berninapass, Albulapass, Flüelapass –

20 Jahre RSC Krähe Kornelimünster e.V. – oder: „mal wieder Schwein gehabt!"
MTB-Tour Malmedy
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