Route des Grandes Alpes

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Die Route des Grandes Alpes – Synonym für eine ganze Sammlung ehrwürdiger Alpenpässe der Tour de France, gelegen zwischen Genfer See und Mittelmeer. Wer die ganze Route mit dem Rennrad bezwingen will, sollte gut und gerne 10 – 14 Tage Zeit mitbringen. Und gute Beine.

Eine etwas abgespeckte Version, die in 6 Etappen zu bewältigen ist, habe ich beim Veranstalter BikeAlpin ausfindig gemacht. Dabei sind immer noch einige große Namen der Tour de France: Iseran, Izoard, Galibier, Bonette, Telegraphe … gute Beine schaden also auch hier nicht. Das Ganze gewürzt mit dem Luxus des Gepäcktransports und vorgebuchten Übernachtungen mit Halbpension war dann genug der Verlockung. Entscheidung gefällt, Krähenmitfahrer gesucht, Günther gefunden und kurzerhand gebucht.

Nachdem Günther leider kurz vor dem Start absagen musste und keine Ersatzkrähe aufzutreiben war, startete ich also am Samstagmorgen bei strömendem Regen allein mit dem Auto Richtung Martigny (Schweiz). Das Wetter wurde zusehends besser, der Genfer See lag bereits in strahlendem Sonnenschein. Die Vorfreude wuchs.

Abends Ankunft im Hotel, erstes Treffen mit Tourguide und Mitfahrern im Hotel und Abendessen, anschließend das erste Bierchen zum Kennenlernen. Nette Truppe! Und ausgesprochen international besetzt: gleich drei Ostwestfalen, ein Schwabe, ein Franke, ein Schweizer, ein in der Schweiz lebender Franzose („Allez, allez! Lass uns ein bisschen Tour de France Stimmüng machen!“) und ein Rheinländer. Also ich. Und natürlich unser Guide Patrick aus Südtirol sowie der Fahrer des Begleitfahrzeugs Raymond aus Rumänien. (Zwischenzeitlich, also an den ganz fiesen Rampen,  wäre so mancher Mitfahrer bestimmt bereit gewesen, Begleitfahrzeug samt Raymond in Gold oder PowerBars aufzuwiegen – es war einfach extrem wertvoll, zu wissen, dass er jeweils an den entscheidenden Stellen in den Anstiegen mit allerlei legaler Unterstützung an Bord steht und wartet und uns mit allem Nötigen versorgt. An das mitgeführte Bier ließ er uns unterwegs allerdings nicht ran, aber in Nizza sollte es soweit sein …)

Sonntag dann also die erste Etappe über den relativ unbekannten Col de Champex und über den Großen St. Bernard, der nach einem relativ öden unteren Teil nach oben hin immer schöner (und steiler) wird. Immerhin hielt sich der Verkehr in Grenzen, angesichts der Tatsache, dass der Große St. Bernard eine wichtige Verkehrsverbindung ins Aostatal darstellt.

Jedenfalls klopfte ich mir schon hier selber lobend auf die Schulter, dass ich mich dazu durchgerungen hatte, als kleinste Übersetzung 34-27 montiert zu haben. Und das (mit dem Schulterklopfen) wiederholte ich dann auch täglich.

Am nächsten Tag dann der Kleine St. Bernard, der mit deiner Höhe von 2188 m so klein gar nicht ist. Oben hatte  Raymond schon die Liegestühle bereitgestellt und Plätze fürs Mittagessen reserviert. Es gab Pasta, genauso wie Sonntag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag.

Es stellte sich eine wunderbare Routine ein: zwischen dem morgendlichen Start um neun Uhr und der  Ankunft im jeweiligen Hotel gegen fünf Uhr nachmittags wurde das Bergfahren in gigantischer Umgebung zu einem angenehmen Dauerzustand mit gewissem meditativen Potential über das ‘wie lange noch’ und ‘warum überhaupt’. Hab ich mir zumindest sagen lassen.

Im Schnitt wurden täglich zwei Pässe gefahren, unterbrochen durch sehr ausführliche Pausen in teils sehr, sehr speziellen Restaurants mitten auf dem Land, immer mit ausreichender Gelegenheit, Landschaft, Sonne und Stimmung zu genießen.

Absolute Highlights waren der Col d’Iseran mit seiner angenehm und flüssig zu fahrenden Steigung in toller Landschaft (von der Passhöhe blickt man direkt aufs Sommerskigebiet) und vor allem der Col de la Bonette mit seiner Höhe von 2802 m. Erst recht, wenn man die kleine Extra-Schleife um den Gipfel fährt, die die letzten 100 Höhenmeter bringt und alle Mühen mit  unglaublich tollen Ausblicken belohnt. Gegen den Uhrzeigersinn ist diese kleine Extrarunde übrigens wesentlich giftiger als andersherum – beides ausprobiert!

Ach ja, auch der Col d’Izoard ist absolut beeindruckend, seine Landschaft wirkt wie vom anderen Stern, weite Geröllfelder kombiniert mit wilden Felsformationen – einfach toll! Aber das ist ja alles bekannt aus Funk und Fernsehen.

Ein oder zwei kleine Tiefs gab es natürlich auch: die Auffahrt nach Val d’Isere zog sich doch länger als gedacht und die große Hitze machte allen sehr zu schaffen. Da war oben im Hotel wohl jeder insgeheim froh, endlich angekommen zu sein. Natürlich vor allem, um am nächsten Morgen die noch fehlenden 1000 Höhenmeter auf den Iseran in Angriff zu nehmen. Val d’Isere ist zwar ein schöner, mondäner Ski-Ort mit dem gewissen Etwas, ich werde ihn aber nie so richtig ins Herz schließen, weil dort meine Lieblingsradbrille von einem Auto heimtückisch überfahren wurde. RIP, Ekynox SX.

Und meine persönliche Auffahrt auf den Galibier war von üblem Sodbrennen überschattet. Vielleicht eine Folge des ‘Genusses’ dieser ganzen Iso-Plörre. Wie zur Bestätigung meines Zustands hüllte sich die Passhöhe des Galibier in eine dichte Wolke, die jede Aussicht verhinderte und die Temperaturen in den einstelligen Bereich drückte. Also Jacke überziehen, abfahren, Tee trinken, Wärme tanken, Schafherde durchqueren (ok, das war am Tag danach) und weiter auf den Col du Telegraphe. Der im übrigen von ein paar Hundert Fremdenlegionären für ein kleines Manöver genutzt wurde. Irgendwie bizarr: Rennradfahrer, bunt gekleidet, fährt in großer Hitze den Pass hinauf, langsam vorbei an gut getarntem Soldaten mit Gewehr im Anschlag: „Bonjour!“ – „Bonjour!“

Natürlich überwogen die Highlights bei weitem. Die abendlichen Essen mit drei bis vier Gängen und viel Bier (üblicherweise f*****g Heineken) waren sowohl vom geselligen Aspekt als auch kulinarisch ausgesprochen, sagen wir – erfüllt. Wann kann man schon mal guten Gewissens solche Mengen essen in der Gewissheit, am Ende der Woche trotzdem abgenommen zu haben? Also – Nachschlag bitte! Danke.

Nette Begebenheit am Rande: auf der gesamten Tour ist uns eine Gruppe englischer Rennradfahrer („amazing!!!“) immer wieder begegnet: fast an jedem Pass hat man sich gesehen, miteinander gequatscht, sich angefeuert. Bei der Gelegenheit also herzliche Grüße an die Trailjunkies aus good old England. Vive l’Europe!

Die Ankunft in Nizza war zunächst etwas unwirklich: Blick aufs türkisfarbene Meer, auf einmal so viele Menschen überall, Hektik und Lärm. Kulturschock.

Wir haben aber das Beste draus gemacht: am Strand haben wir ein finales Bierchen geschlürft und ein Bad im Mittelmeer genommen. Nach dem Abendessen dann noch in die Stadt, denn die Altstadt von Nizza ist einfach atemberaubend, enge Gässchen, Kleinkunst, Märkte (nachts!), draußen sitzen, alles proppevoll. Allerdings nach den eher beschaulichen Bergdörfchen wieder etwas gewöhnungsbedürftig. So viele Leute …
Der Rücktransfer per Reisebus von Nizza nach Martigny brachte dann einen kleinen Dämpfer für unsere ausgefuchste Zeitplanung („… wenn ich einen 150er Schnitt auf der Autobahn schaffe, bin ich spätestens zur zweiten Klitschko-Runde zu Hause …“) unserer Rückfahrt: kurz vor dem Tunnel durch den Großen St. Bernard stellte unser Busfahrer den Bus ab, sicherte sorgfältig die Pannenstelle per Warndreieck und begann mit seinen beiden Handys synchron zu telefonieren, um unsere Rettung einzuleiten. Eine gewisse Routine meine ich dabei erkannt zu haben. Motor überhitzt, Keilriemen gerissen, Kühlwasser ausgelaufen. Keine Ahnung, was genau kaputt war und ich hab auch nicht damit gerechnet, dass es auf der Straße repariert werden könnte. Jedenfalls kamen nach drei Stunden Wartezeit drei Schrauber aus Turin, die das Ding innerhalb von 20 Minuten wieder in Gang gesetzt haben. Es war ein illustres Schauspiel, das einem auch nicht alle Tage geboten wird: der Chef mit weißen Schuhen, weißgerahmter Sonnenbrille stand rauchend und feixend daneben, während seine zwei Monteure im Laufschritt zwischen Bus und Werkstattwagen hin und her hetzten. Am Ende fuhr der Bus jedenfalls wieder und brachte uns schließlich nach Martigny. Schließlich war ich um exakt 2:19 h (nachts) glücklich zu Hause – kurz vor dem Einschlafen. Da war Klitschko schon lange wieder mal Weltmeister.

Fazit: tolle Tour in einer der schönsten Gegenden der Welt, die in der netten und angenehmen Gemeinschaft riesig viel Spaß gemacht hat, dazu ausgesprochenes Glück mit dem Wetter. Oder, wie der Franke sagt: „Passd scho!“

Dankeschön an Patrick und Raymond für die perfekte Komplett-Rundum-Sorglos-Betreuung und tolle Bilder, an die gesamte Gruppe für eine Menge Spaß. Und vor allem: Heide, Linus und Laura … Ihr wisst schon.

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