Omloop Passage Fitness
Gent – „Omloop Passage Fitness“ oder wenn Flandern ruft …
Bericht von der Teilnahme am “Omloop Passage Fitness” (früher Het Volk) am 20.03.2010 über Hellingen und Kasseien in Flandern.
Es ist März und die Radklassiker sind wieder da! Schwierige, traditionsreiche Eintagesrennen über längere Distanzen, die es schon seit Jahrzehnten gibt, manche sogar seit über 100 Jahren. Welchem ambitionierten Hobby-Radfahrer kribbelt es da nicht in den Füßen, sich auf die Spuren solcher Klassiker wie z.B. die Flandern-Rundfahrt – einem der härtesten Rennen der Welt – zu begeben und zumindest einige der berühmt berüchtigten Hellingen und Kasseistroken unter die Räder zu nehmen? Natürlich gibt es – wie immer – tausend Bedenken. Warum sollte man sich sein mühsam zusammengespartes Rennrad auf derart holprigen Wegstrecken zu Brei fahren? Wie sieht es nach dem langen und schneereichen Winter d.h. vor allem nach den wenigen Trainingskilometern, überhaupt mit der Form aus? Und das Wetter? Bei Wind und Regen sind 150 Kilometer nicht nur strapaziös, sondern auch gefährlich – eine ordentliche Verletzung zu Beginn des Jahres und die Saison ist gelaufen!
Doch die Faszination, die durch Namen wie Taaienberg, Eikenberg, Molenberg etc. ausgelöst wird, reicht aus, um alle Bedenken mit einem Mal aus dem Weg zu räumen. Und einmal angemeldet, stimmt auch die Trainingsmoral wieder und infolgedessen geht es auch mit der Form wieder bergauf. Auch die ständig aufgeschobene Reinigung und Pflege des Rades wird plötzlich in Angriff genommen – im Nu ist der Schmodder des Winters beseitigt, alle wichtigen beweglichen Teile geölt, so dass ein schon lange nicht mehr gekanntes, überaus geschmeidiges Fahrgefühl große Freude bereitet. Und mit dieser Freude wächst auch die Vorfreude.
Dann ist auch plötzlich schon der 19. März – Abfahrt. Nach dem üblichen Freitagnachmittag-Stau um Brüssel, kamen wir, d.h. Thorsten, Heide, Britta und ich gegen 18.00 im Hotel Astoria in Gent an. Das Hotel war abgesehen von der Lage direkt an den Gleisen einer Hauptzugverbindung super. Kaum waren die Zimmer bezogen, ging es auch schon in die Stadt. Nahrungsaufnahme hatte nun für Thorsten allerhöchste Priorität. Unmassen von Pasta und belgisches Bier in Maßen ließen uns in dem Gefühl einschlafen, einigermaßen für den nächsten Tag gerüstet zu sein. Eine unruhige Nacht mit Güterzügen im Zwei-Minuten-Abstand ließen jedoch die bange Frage aufkommen, werden wir auch Morgen so viele Züge an uns vorbeifahren sehen?
6:45 Uhr Aufstehen, 7:00 Uhr Frühstück, 7.30 Uhr Verlassen des Hotels, 7:50 Uhr Abholen der Startunterlagen und Befestigung der Startnummer am Rad, 8.08 Uhr Start. Es ist kühl, ziemlich windig, aber einigermaßen trocken.
Gleich vom Start weg, geht es schon ziemlich zur Sache. Mein Puls klettert auf 160 – 170 Schläge pro Minute und das wohlgemerkt auf den flachen Passagen, die aus Gent hinaus führen. Thorstens lapidarer Kommentar: „Wenn wir jetzt nicht mit dem Feld mithalten, müssen wir ganz alleine gegen den Wind fahren“. Also heißt es Zähne zusammenbeißen und kräftig in die Pedale treten. Bei dem Höllentempo lassen selbst kleinere Hügel meinen Puls nahe an die maximale Herzfrequenz kommen. Nach etwas über zwei Stunden und knapp 60 Kilometer stoppen wir an der ersten „Bevoorrading“. Hier konnte man sich mit Getränken, Waffeln, Energieriegeln und Obst versorgen. Zehn Minute später geht es weiter, nun allerdings in kleineren Gruppen. Meine Beine fühlen sich bereits jetzt an wie Pudding und vor uns liegen nun die ersten Rampen. Wir überquerten den Leberg (Länge: 950 m, maximale Steigung: 13,8%), und den Pottelberg (Länge: 1300 m, maximale Steigung: 7,5%) überraschenderweise ohne große Probleme. Auch die ersten zwei Kilometer Kasseistroken lassen wir unbeeindruckt hinter uns. Anschließend folgt eine kurze Rast an der zweiten „Bevoorrading“. Über die Hälfte der Strecke liegt hinter uns und passend zur Stimmung lässt sich auch die Sonne immer wieder mal blicken. Weiter geht es über den Taienberg (Länge: 530 m, maximale Steigung: 15,8 %), der aufgrund seines groben Kopfsteinpflasters erste Probleme macht. Obwohl wir unsere kleinste Übersetzung einigermaßen flüssig treten können, werden wir fast von anderen Teilnehmern aus dem Tritt gebracht, die bei maximaler Steigung zum Stehen kommen oder gar umfallen und anschließend vergeblich versuchen wieder auf ihre Räder in ihre Klickpedale zu steigen. Es folgen mit dem Eikenberg (Länge: 1200 m, maximale Steigung: 10%) und dem Wolvenberg (Länge: 645m, maximale Steigung: 17,3%) noch mal richtige Hämmer, an denen man richtig „beißen“ muss. Direkt im Anschluss bleibt keine Zeit zur Erholung, denn nun gilt es mit insgesamt knapp 2,5 Kilometer nicht nur die längste Kasseistroken zu bewältigen, sondern auch eine rasende Abfahrt auf Kopfsteinpflaster zu meistern. Leider geling das an diesem Tag nicht allen Teilnehmern. Kurz vor Ende der Abfahrt macht ein gestürzter und übel zugerichteter Radfahrer den Einsatz der Rettungskräfte notwendig.
Inzwischen sind wir über 4 Stunden im Sattel, haben etwa 100 Km in den Beinen und mit dem Molenberg (Länge: 463 m, maximale Steigung: 14,2%) die letzte Herausforderung des heutigen Tages vor der Brust. Thorsten, der schon seit geraumer Zeit immer einsilbiger wird, murmelt in der letzten halben Stunde sogar nur noch ein einziges Wort, so dass ich ernsthaft beginne, mir sorgen zu machen. Immer wieder dringt das Wort „Bäckerei“ aus ihm. Und siehe da, angesichts dieser Beschwörungsformeln zeigt sich der Radsportgott gnädig. Wir finden eine Bäckerei, die unter Beweis stellt, dass die belgische Backkunst vom Feinsten ist. Ja und plötzlich kann Thorsten auch wieder in ganzen Sätzen reden. Sein erster Satz ist: „Nun müssen wir aber reinhauen und noch ein bisschen was für unseren Schnitt tun.“ Meinen Einwand, dass diese Veranstaltung doch eine Tour und kein Rennen sei, kontert er: „Das ist auch kein Rennen, das fühlt sich nur so an:“ Den Molenberg erklimmen wir in dem Hochgefühl, nun alle berüchtigten Hellingen des heutigen Tages überwunden zu haben. Es folgen längere Flachpassagen, die wir in hohem Tempo absolvierten. Etwa 20 Km vor dem Ende des Rennens fällt es mir immer schwerer, Thorstens Hinterrad zu halten. Mir geht durch den Kopf, dass es in einem richtigen Rennen erst jetzt richtig zur Sache gehen würde, jetzt erst würde sich entscheiden, wer am Ende auf dem Treppchen steht. Vor dem Hintergrund der heutigen Strapazen wird mir plötzlich klar, was Profi-Radfahrer z.B. bei der Flandern-Rundfahrt (und die fahren dann ca. 270 Km, davon ca. 70 Km über Kopfsteinpflaster und überqueren dabei 16 Hellingen) wirklich leisten. Gott sei Dank haben wir inzwischen Rückenwind, so dass wir förmlich in Richtung Ziel gepustet werden.
Erlöst steigen wir nach über 150 Km in etwas über 6 Stunden und über 4800 verbrauchten Kalorien in Stadtzentrum von unserem Rädern und treffen uns mit Heide und Britta, die sich während unserer Tour die Burg sowie die historische Altstadt angeschaut haben. Ob wir da vielleicht doch etwas falsch gemacht haben? Quatsch, zumindest schmeckt uns das belgische Bier heute viel, viel besser. Und außerdem bin ich mir jetzt schon sicher, dass ich in der kommenden Nacht keinen einzigen Zug hören werde. Dennoch, Gent scheint eine sehr schöne Stadt zu sein und wir haben kaum etwas von ihr gesehen. Da bleibt nur eins: Gleich wieder für das Rennen (!) im nächsten Jahr anmelden.
Die Helden von Flandern:
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