Hommage an Schengen

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Der Plan war simpel: 400 km oder mehr sollten es sein – an einem Tag! Mal so grob mit einem 25er Schnitt kalkuliert ergibt sich eine Fahrzeit von mindestens 16 Stunden. Dazu vielleicht 20 % Pausenzeit, macht mehr als 19 Stunden … hm, ja. Zweifel, ob das machbar sein würde, habe ich eigentlich nicht gehabt. Wichtig würde sein, nicht zu überpacen und sich regelmäßig und vor allem ausreichend zu verpflegen. So also der Plan.

Die passende Route war fix zusammengeklickt: Über bekannte Ravels und Sträßchen Richtung Lüttich, dann an der Maas entlang nach Frankreich und mit Westwind rüber nach Schengen. Quasi eine Hommage an (wieder) offene Grenzen.

Ein Hotel auf der anderen Moselseite war auch schnell gefunden – es konnte also losgehen! Um eine Ankunft im Hotel bei besetzter Rezeption zu ermöglichen habe ich mir einen der längeren Tage des Jahres ausgesucht und den Start für Mitternacht geplant. Um 00:01 Uhr am 23.06.2020 war es dann soweit: mein mit Minigepäck beladenes Ridley und ich rollten in die Dunkelheit.
Über die stockdunkle Vennbahn kurbelte ich nach Belgien, die Beleuchtung streifte immer mal wieder Tiere am Rand, es raschelte im Wald, irgendwie doch unheimlich. Über Eupen und Battice gelangte ich nach Lüttich. Eine echt schräge Erfahrung, nachts um Zwei durchs total ruhige, leergefegte Lüttich zu radeln, dabei die Ourthe mit der Maas zu verwechseln und eine kleine Extrarunde zu drehen. Die Ruhe der Innenstadt wich dann im Südwesten von Lüttich dem Dauerlärm riesiger Industriebetriebe – welch ein Kontrast. Langsam die Großstadt hinter mir lassend ging es weiter die Maas entlang. Vorbei an Tihange, Huy, Namur, inzwischen dämmerte es. Den Maasradweg mied ich hier in Belgien, immer wieder schlug das Ding wilde Haken oder es gab Abschnitte von Schotter oder gröbstem Kopfsteinpflaster. Stattdessen blieb ich hier vorwiegend auf der Straße, die ja in Belgien vorbildlich beleuchtet ist. Wäre doch schade, das nicht zu nutzen!
Über der Maas lagen Nebelfetzen, es war ordentlich frisch. Irgendwo in Dinant hatte ein kleines Frühstückscafe geöffnet, das erste Sandwich des Tages.

Weiter Richtung Frankreich, wo der Maasradweg perfekt ausgebaut ist, zweispurig! Immer wieder kreuzten Enten- und Gänsefamilien den Radweg, manche machten gar nicht gerne Platz für einen versprengten Radfahrer und fauchten mich stattdessen böse an. Blieb aber alles friedlich.
Mit der aufgehenden Sonne verschwanden so langsam die letzten Nebelschwaden und es begann, wärmer zu werden. Die Landschaft entlang der Maas ist einfach grandios, immer wieder kleine Ortschaften mit Brasserien für die Verpflegung, dazu unterwegs reichlich Schleusen, Angler, Gänse und Enten. Absoluter Genuss!Karte

Am Chateau de Rémilly verließ ich den Maasradweg und schwenkte Richtung Osten, Richtung Luxemburg. Der erhoffte Westwind kam leider aus dem Osten, also Gegenwind für die letzten 160 km. Langsam wurde es zäh. Aber zuerst wurde es heiß. Und dann hügelig. Nach einem Zwischenhoch kurz vor Longuyon war ich froh, dort die letzte geplante Pause machen zu können, Erdbeerkuchen, es war schließlich Nachmittag. Leider kein Kaffee. Das zweite Zwischenhoch blieb allerdings aus. Hoch ging es aber nach Luxembourg, die letzten rund 70 km würden nochmal um die 700 Höhenmeter haben. Dazu Gegenwind und Hitze und so langsam war ich dann doch etwas angeknockt. Eine Welle folgte der nächsten, so grausam hab ich Luxembourg noch nie erlebt. Die letzten 40 oder 50 km waren also eher qualvoll und es ging nur noch ums Ankommen. Letzte Verpflegungsversuche an einer Tankstelle waren dann erfolgreich und ich rollte gegen halb Acht abends durch Schengen an die Mosel. Flott rüber nach Perl ins Hotel und Beginn des Wiederaufbauprogramms. Kurz einschlafen auf dem Sessel im Hotelzimmer, Essen, Schlafen. Am nächsten Tag das nächste Abenteuer: Deutsche Bahn und nach Hause.

Fazit nach 418 km: ich war noch nie so kaputt und zwar gesamtkörperlich. Um die Landschaft zu genießen – und dazu war reichlich Gelegenheit – war es eigentlich zu lang. Irgendwann nimmt man einfach nichts mehr auf. Trotz aller Strapazen überwog am Ende ein Glücksgefühl, zum einen darüber, es geschafft zu haben, zum anderen über die Erkenntnis: wer braucht schon Grenzen?

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