Ardechois – Eine Krähe fliegt zur Ardèche

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Bericht und Fotos von der dreitägigen Rundfahrt im französischen Departement Ardèche.

[Text von Wolfgang Winter, August 2007 (www.cyclo-cathare.com)]

Als Jahreshöhepunkt hatte ich mir für 2007 die Ardèchoise vorgenommen, eine dreitägige Rundfahrt im französischen Departement Ardèche, welches sich in Nord-Südrichtung entlang der westlichen Rhone bis zum namensgebenden Fluß Ardèche zieht. Auf dem Papier waren in den drei Tagen 600 km und 10.000 Höhenmeter zu bewältigen, eine Dimension, an die ich mich bis dahin noch nicht herangetraut hatte. Dementsprechend intensiv war die Vorbereitung: Im Frühjahr nahm ich jeden belgischen und holländischen Marathon mit, den ich kriegen konnte und wo mir das Wetter keinen Strich durch die Rechnung machte. Noch den Samstag vor der Ardèchoise fuhr ich den Gran Fondo Eddy Merckx in Hamoir, am nächsten Tag ging es dann runter nach Frankreich, wo ich in der Nähe des Startorts St. Félicien ein Quartier gebucht hatte. Die nächsten drei Tage bis zum Start der Rundfahrt am Donnerstag war dann intensive Erholung angesagt, Swimmingpool, Sonne, Besichtigungen, Entspannung. Das Rad blieb schön im Auto bzw. in einem Fahrradladen in Tournon, da nach dem Gran Fondo einige Reparaturen notwendig geworden waren.

Ich hatte auf der Karte schon einmal nachgerechnet: Die 600km waren über die drei Tage ungleichmäßig verteilt, was auch an der Zuteilung der Quartiere lag. Das erste Quartier lag etwa 4 km von Vallon-Pont-d’Arc, damit auch 4km von der offiziellen Strecke und 250km von St. Felicien entfernt. Das zweite Quartier lag dagegen schon 12km abseits der Route und etwa 200km von Vallon-Pont-d’Arc. Der dritte Tag zurück nach St. Felicien wären dann theoretisch noch läppische 150km. Naja, so ungefähr kam das dann im Endeffekt auch hin, allerdings war nicht wie ich vermutet hatte der erste Tag der schwierigste, sondern der zweite. Davon aber später mehr.

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Profil des ersten Tages: 240 km, 4000m hinauf, 4300m hinab

Zunächst einmal fuhr ich bereits mittwochs nach St. Felicien, das etwa eine Stunde von meiner Unterkunft entfernt lag, um die Startunterlagen abzuholen und schon einmal die örtlichen Gegebenheiten zu erkunden. Am Donnerstagmorgen sollten die Formalitäten so schnell wie möglich erledigt werden, da ja 250 km vor mir lagen. In St. Felicien war schon einiges los. Es war ein eigenes Tourdorf errichtet worden, in dem sämtliche großen Rennrad- und Komponentenhersteller Stände hatten, ich schätze etwa 40-50 insgesamt. Dort konnte man dann schon einmal die neuesten Renner, Zubehör, Klamotten und Accessoires bewundern oder auch kaufen, wenn man gerade passendes Kleingeld dabei hatte. Das Startpaket bestand aus dem Nummerschild mit angepapptem Transponder, einem Trikot, der obligatorischen Trinkflasche, diversem Informationsmaterial, darunter auch einer Ausgabe der französischen Zeitschrift Cyclo von 2005! (was haben die sich dabei wohl gedacht??). Zurück in meinem Quartier wurde dann alles für den nächsten Tag vorbereitet: Nummernplakette angebracht, Flaschen gefüllt, Reifen bepumpt, Riegel bereitgelegt, am nächsten Morgen sollte alles so schnell wie möglich gehen. Frühstück war von den Wirten für 5:15 versprochen, in der Woche der Ardèchoise ist alles möglich! Außer mir übernachtete aber auch noch eine 15-köpfige Gruppe aus Carcassonne, die auch früh starten wollte. Für die Nacht musste ich noch einmal kurzfristisch das Quartier wechseln und in einen Caravan umziehen, auch kein Problem.

Früh schlafen gegangen, Spannung vor dem großen Tag, schlecht geschlafen, man kennt das. Schon um 4 Uhr wachte ich auf von leichten klopfenden Geräuschen auf dem Caravandach, die immer stärker wurden: es fing an zu regnen. Nein, schlimmer, es war ein regelrechtes Unwetter, das sich da draußen aufbaute, bald prasselte und schlug es ohrenbetäubend auf das alles verstärkende Caravandach ein, Blitze durchzuckten den Himmel, grollender Donner rollte über mich hinweg. Ich wollte die Dachluke über dem Bett schließen, das Licht ging aber nicht, der Strom war ausgefallen. Im Dunkeln sah ich nichts, also rückte ich so weit an den Bettrand, dass ich nicht voll geregnet wurde. Scheiße, dachte ich, das ist ja die Mutter aller übelsten Vorstellungen, bei so einem Wetter 250km auf dem Rad vor sich zu haben!

Aber die Rennradgötter meinten es gut, pünktlich als der Wecker um 5 Uhr klingelte zog das Unwetter ab. Der Campingplatz war allerdings überschwemmt und von frisch entsprungenen Bächen durchzogen. Die nächsten drei Tage blieb das Wetter dann glücklicherweise stabil, eigentlich ideal für die Tour mit etwa 20-25°, obwohl ich es auch gerne noch etwas wärmer habe.

Nach dem Frühstück fuhr ich nach St. Felicien, gab mein Gepäck ab und parkte den Wagen auf einem der etwa 15 Wiesen, die in der Woche als Parkplätze fungierten. Kurz nach 7 Uhr saß ich auf dem Rad und fuhr über den Transponder- Kontaktteppich. Es ging direkt den Col du Buisson hinauf, 14km und 500 Hm. Ich fuhr kontrolliert, achtete darauf, dass der Puls nicht über 150 Schläge ging, trotzdem überholte ich viele Fahrer. Manchmal fand ich einen Fahrer oder eine Gruppe, die meinen Rhythmus fuhren, oft waren die mir aber zu langsam. Man wusste ja auch nie, wie viel Kilometer die anderen vor sich hatten. Es gab etwa 15 verschiedene Strecken zur Auswahl, zusätzlich gab es etliche verschiedene Unterkünfte auf den Strecken, so dass kaum zwei Fahrer die gleiche Tagesstrecke zu absolvieren hatten. Ich hatte 250 Kilometer vor mir und wollte rechtzeitig zum Abendessen ankommen, ich konnte also nicht unbegrenzt trödeln.

So ging es weiter Col hinauf, Col hinunter Richtung Süden. Die Anstiege waren nicht sehr steil, im Schnitt etwa 5% und ziemlich gleichmäßig, dafür aber lang mit 300 – 700 Höhenmetern. Der erste Tag war geprägt vom Wechsel des Klimas und der Vegetation: Wenn man die Schleifen abzieht, ging es etwa 200 Kilometer von Nord nach Süd. Im Norden war es anfangs noch etwas kühl und wolkig. Die Landschaft erinnerte an Eifel oder Ardennen mit saftigen Wiesen, hohen Laub- und Nadelwäldern, einfachen, nichts sagenden Dörfern. Als es dann über den Col de la Faye auf 1019m ging, konnte man weit in den Süden schauen und dort hinten hörte die Wolkenfront auf und dahinter war nur noch blauer Himmel zu sehen. Es wurde langsam wärmer und die Landschaft änderte sich, es wurde trockener, die Vegetation mediterraner mit den typischen Garrigue- Büschen und den niedrigen Eichen und Kastanienwäldern. Nach 160 Kilometern ging es hinter Privas den Col du Benas hinauf, 12 km und 500 Hm unter glühender Sonne. Hier hatte ich zum Glück einen Mitstreiter gefunden, mit dem ich regelmäßig die Führung wechselte. Noch weiter im Süden dann die ersten Weinfelder und dann schließlich steil hinab in die berühmte Gorge d’Ardèche mit ihren nackten senkrechten Felswänden, unten der klare Fluss: hier war ich schließlich im Urlaubsparadies Südfrankreich angekommen.

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Der zweite überwältigende Eindruck des ersten und auch der folgenden Tage war die ausgelassene Stimmung und die Gastlichkeit in den Dörfern, durch die man fuhr. In der Vorinformation war darauf hingewiesen worden, dass es an den beiden ersten Tagen keine organisierten Verpflegungsstellen gäbe. Man müsse selbst für Verpflegung sorgen, es gab sogar eine Liste mit Restaurants, Bäckereien und Lebensmittelgeschäften. Ich hatte dementsprechend reichlich Verpflegung in die Trikottaschen gepackt, man weiß ja nie was kommt. Und dann kamen wir nach 65 km nach Vernoux und ich dachte nur, was ist denn hier los: Alles war geschmückt mit Luftballons, Fahnen und Bändern in lila-gelb, den Farben der Region Rhone-Alpes. Die Straßen waren gesäumt von Massen von Kindern, die jedes Mal wie aus dem Häuschen anfingen loszukreischen, zu klatschen und herumzutanzen, wenn Rennradfahrer vorbeikamen. Gruppen von Kleinkindern, die sich an einem Seil festhielten und von Erzieherinnen geführt wurden zogen durch die Straßen und flippten beim Anblick der Rennradler schier aus. Die meisten waren noch dazu geschminkt und verkleidet, auch viele Erwachsene waren irgendwie zurechtgemacht und geschminkt. Alles schrie Bravo, applaudierte und feuerte einen an. Je weiter man sich dem Ortskern näherte, umso lauter hörte man Musik. Auf dem Dorfplatz schließlich wimmelte es von Menschen, es waren Tische aufgebaut, auf denen den Radlern Essen und Getränke angeboten wurden, es gab Trockenfrüchte, Salami, Brot, Käse und Gebäck so viel man wollte. Was denn hier gefeiert würde, fragte ich und bekam zur Antwort: C’est l’Ardèchoise! Der ganze Ort feierte, ließ sich nicht lumpen und spendierte den Radfahrern die Verpflegung und hatte Spaß dabei.

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Und es ging weiter so! Überall waren die Dörfer herausgeputzt, die Farben lila und gelb herrschten vor, überall waren aufwendig geschmückte und zurechtgemachte alte Fahrräder aufgestellt, manchmal hatten sogar die Kühe auf den Wiesen lila-gelbe Schleifen und Bänder um den Bauch. In den meisten Dörfern gab es zu Essen und zu Trinken, oft die regionalen Spezialitäten. Man wurde manchmal richtig gedrängt, dies und das zu probieren und zu trinken. Musikanlagen waren aufgebaut, es schien sogar einen eigenen Song zu geben, ich hörte immer wieder ein Lied mit irgendwas von trallalla, c’est l’Ardèchoise, trallalla …

Alle feuerten an, riefen Bravo, klatschten, man kam sich vor wie auf der Tour de France.

In irgendeinem Dorf traf ich dann Thomas aus Annecy, mit dem ich mich lose verabredet hatte und der auch die 600km Runde machen wollte. Er war auch alleine gestartet und hatte sich einer Gruppe angeschlossen, die für Paris-Brest-Paris trainierte. Am Wochenende zuvor hatten die das 600km Brevet absolviert, eine der Voraussetzungen für die Zulassung zu Paris-Brest-Paris und benutzten die Ardèchoise zum lockeren ausrollen. Die fuhren dementsprechend äußerst kontrolliert. Die nächsten Kilometer fuhren wir also gemeinsam im Paris-Brest-Paris Tempo. Irgendwann mittags wollten die dann in einem Restaurant richtig zu Mittag essen, das traute ich mich aber von der Zeit her nicht, ich fürchtete, dass es abends zu knapp werden würde. Thomas hatte außerdem für die erste Nacht ein anderes Quartier als ich, das zudem etwa 30 Kilometer näher lag. Also fuhr ich alleine weiter, ich würde Thomas am nächsten Tag schon wieder treffen. Die zweite Nacht hatten wir auch die gleiche Unterkunft.

Südlich von Privas wurde die Landschaft auch zunehmend vom Vulkanismus geprägt. Bei der Abfahrt vom Col de Fontenelle sah man unten im Tal einen riesigen rundlichen, schwarzen, fast unbewachsenen Felsenberg mitten in der grünen Landschaft. Wie ein Fremdkörper wirkte das Ding, um das die Straße in einem weiten Bogen abwärts führte. Im unterhalb gelegenen Dorf Sceautres dann die nächste Überraschung: Das ganze Dorf hatte sich als Westerntown zurechtgemacht. Wild Wild West in Südfrankreich. Es gab ein Sheriffoffice, einen Saloon, der Schmied hieß Blacksmith und man sah nur Cowboys und Indianer im Dorf herumlaufen. An der Theke wurde man von äußerst attraktiven Squaws bedient, da ließ man sich doch gerne zu einer Pause überreden. Außerdem hatten die einen wunderbaren Schokoladenkuchen gebacken, dazu ein Becher Kaffee, Klasse! Auf meine Nachfrage erfuhr ich, dass das schwarze Felsungetüm tatsächlich ein erstarrter Magmapfropfen war, so wie ich mir das schon gedacht hatte.

Die nächsten 40 Kilometer von Alba-la-Romaine bis zur Ardèche ging es bis auf ein oder zwei kleinere Anstiege relativ flach durch die Weinberge des südlichen Departements. Dann hinabgerauscht in die Gorge und noch 10 Kilometer bis Vallon-Pont-d’Arc flach flussaufwärts, die mir allerdings inzwischen äußerst schwer fielen: Die Beine waren bleischwer und ich konnte kaum noch auf meinem Allerwertesten sitzen. Gegen halb sieben erreichte ich den Campingplatz, auf dem ich ein Chalet zugewiesen bekam. Die drei Mitbewohner waren noch nicht angekommen, so konnte ich in Ruhe duschen und auf dem Bett die Beine hochlegen. Und es dauerte noch ziemlich lange, bis die meisten angekommen waren. Das dumme daran war, dass das für 8 Uhr angesetzte Abendessen solange verschoben wurde, bis die meisten da waren. Mit knurrendem Magen mussten wir bis nach 9 Uhr warten bis es dann Menü mit den obligatorischen Teigwaren gab. Zwei meiner Mitbewohner waren inzwischen eingetroffen. Als wir dann gesättigt zum Chalet zurückkamen, war auch der vierte Zimmergenosse angekommen, der war aber so fertig, der konnte nicht einmal mehr essen. Dem war die Anstrengung voll auf den Magen geschlagen. Naja, davon sollte ich am nächsten Tag auch ein Liedchen singen können.

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Für den Freitag waren nach Plan 200 Kilometer zu absolvieren, Höhenmeter konnten ja nicht mehr ganz so viele sein wie am ersten Tag, wenn ich schon 4000 Hm im Sack hatte und insgesamt 10000 Hm zu bewältigen waren, … dachte ich. Insgesamt nicht ganz so schwer wie der erste Tag, war meine Vermutung, aber ich sollte mich täuschen.

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Profil des zweiten Tages: 220 km, 4200m hinauf, 3100m hinab

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Kaum war ich die 3 km zurück nach Vallon-Pont-d’Arc auf die offizielle Strecke gefahren, da sah ich auch schon Thomas vor mir auf die Straße einbiegen. Der musste von seinem Quartier schon eine Stunde früher losgefahren sein und hatte ein ziemliches Tempo drauf. Meine Beine waren noch schwer, ich hatte keine Motivation, die 200 m bis zu ihm aufzufahren, und dann noch das hohe Tempo mitzufahren. Ich wollte erst mal warm werden. An der nächsten Verpflegungsstation würde ich ihn ja dann auf jeden Fall einholen. So war es dann auch, nachdem der kurze aber bissig steile Côte de Sampzon bezwungen war gab es in Ruoms wieder regionale Köstlichkeiten zum Frühstück und da stand auch Thomas mit dem ich dann die nächsten Stunden zusammenfuhr. Dieser Vormittag war geprägt von den wunderschönen Dörfern und der fast mediterran anmutenden Landschaft der Ardèche. Ich weiß nicht mehr, wie oft wir den Fluss überquert haben, es ging durch sämtliche Dörfer, die am Ufer lagen, eines schöner und romantischer als das andere. Die Dorfverantwortlichen hatten die Strecke immer mitten durch die kleinen, engen Gässchen der Dörfer ausgeschildert, es ging kreuz und quer über uraltes verwittertes Pflaster, unter Torbögen, unter schiefen Häusern hindurch, über kleine verwunschene Plätzchen und Innenhöfe bis man in der Dorfmitte den Verpflegungsstand erreichte, wo das Dorf den Heroen der Straße Getränke und Essen spendierte. Dann ging es auf gleichen verschlungenen Wegen wieder aus dem Dorf hinaus zur Hauptstrasse.

Mit dem Essen war das an diesem Tag aber so eine Sache. Es trat nämlich eine der beiden Hauptprobleme auf, die ich während der 600 Kilometer hatte. Die Verdauung und die Därme spielten nämlich etwas verrückt, vielleicht durch die Anstrengung, vielleicht auch durch die Trockenfrüchte, die es an vielen Ständen gab. Die ließ ich dann an diesem und dem folgenden Tag mal weg, es änderte sich aber nichts. Sobald ich aber am nächsten Tag St. Felicien erreichte, waren auch die Darmprobleme weg, weshalb ich glaube, dass möglicherweise auch psychologische Gründe eine Rolle spielten. Das andere Problem, waren die Sehnen und Gelenke rund um die Knie, die anfingen zu schmerzen. Insbesondere nach Abfahrten, wenn die Beine mal nichts zu tun hatten und die Muskeln kalt geworden waren tat es beim wieder antreten erst einmal ziemlich weh. Ich musste kontinuierlich pedalieren, dann ging es. Deshalb war es später fast angenehmer für mich berghoch zu fahren.

Hinter Largentière begann der lange Anstieg zum Col de Meyrand, insgesamt etwa 40 Kilometer bergauf abgesehen von ein paar kurzen Zwischenabfahrten. In Joannas wollte Thomas wieder zu Mittag essen, er wollte allerdings auch eine Abkürzung fahren und sich 50 Kilometer sparen. Ich wollte natürlich bei meiner ersten Ardèchoise die ganze offizielle Strecke abfahren und fuhr deshalb wie am Vortag durch, die Zeit würde mir sonst zu knapp. Kontinuierlich ging es aufwärts, die Berge wurden höher und dann plötzlich die nächste Überraschung: Ich fuhr in das Dorf Rocles ein, dessen Ortseingangsschild allerdings überklebt war und jetzt Rocles Plage anzeigte. Huch, dachte ich, wo geht’s denn hier zum Strand und da sah ich auch schon die spärlich bekleideten Dorfbewohner, die alle aussahen, als würden sie auf irgendeiner tropischen Südseeinsel leben: Die Frauen in bunten Baströckchen, Blumengirlanden um den Hals, die Männer in Kriegsbemalung tanzten alle zu Südseeklängen und versuchten wie die Sirenen, die Radfahrer zu ihren Verpflegungsständen zu locken. Ils sont fous les Français!

Ich fuhr weiter den Berg hinauf, überholte immer wieder einzelne oder kleine Gruppen von Radfahrern, die mir aber alle zu langsam waren. Allerdings sank meine Motivation und die Geschwindigkeit bei dieser Alleinfahrt immer mehr ab. Endlich fuhr von hinten ein Fahrer auf und überholte mich kraftvoll. Nach kurzer Abschätzung der Kräfte entschloss ich mich dran zu bleiben und es ging. Wir wechselten ein paar Mal die Führungsarbeit, die Motivation war wieder da aber als ich mich irgendwann umdrehte, war er doch abgefallen. Aber da hatte ich schon fast den Col erreicht. Hier kurz vor Loubaresse ging es ab zu einer 50km langen Schleife, die wenige Kilometer weiter in Loubaresse wieder auf die Hauptstrasse führen sollte. Diese Schleife wollte sich Thomas sparen, genauso wie die meisten anderen, denn ich war jetzt lange Zeit alleine auf der Strecke. Erst nach einigen Auf- und Abstiegen fand ich auf einem Hochplateau Mitstreiter. Viele hatten es aber nicht mehr weit bis zu ihrer Unterkunft, ich dagegen hatte noch 70 km vor mir und ich fühlte mich ziemlich kaputt. Endlich fuhr ich zu einem kleinen knapp 70-jährigen Fahrer auf, der auch die 600km Runde absolvierte und dessen Unterkunft sogar noch 20 km weiter lag als die meine. Ich war froh, auf dem relativ flachen Plateau nicht alleine fahren zu müssen und war auch dankbar, etwas langsamer fahren zu dürfen. Dann ging es nach Borne 200Hm steil bergan und nach einer steilen und schwierigen Abfahrt noch einmal 350 Hm heftig hinauf nach Loubaresse. Da blieb der nette Franzose dann doch hinter mir zurück, aber nicht sehr viel. Die nächsten 30 Kilometer begegneten wir uns immer wieder, ich brauchte jetzt einfach längere Pausen an den Verpflegungsstellen in denen er mich wieder einholte.

Um 19:30 Uhr erreichte ich schließlich nach 220 km die Herberge. Ich war diesmal der vorletzte, der an dieser Unterkunft ankam, gerade noch rechtzeitig, um eine kalte Dusche zu nehmen (die vorher angekommenen hatten das gesamte Warmwasser- Reservoir verbraucht) und um 8 zum Abendessen zu erscheinen. Thomas war natürlich schon lange da und hatte mir einen Platz freigehalten. Wie am Abend zuvor wurde die Regionalzeitung Dauphiné Libéré, bekanntlich dem Radsport als Sponsor verbunden, umsonst verteilt. Warum? Seit Tagen schon wird die erste Seite der Zeitung nur von der Ardèchoise beherrscht, auch heute wurde die Titelseite vollständig von Berichten über die Radveranstaltung ausgefüllt.

Dieser zweite Tag war tatsächlich der anstrengendste, was auch darauf zurückzuführen war, dass 4200 Höhenmeter hoch nur 3100 Meter bergab entgegenstanden. Natürlich hatte ich an diesem zweiten Tag auch nicht mehr die Kraft und Ausdauer wie am ersten Tag. Das ließ sich schon an meinem Puls ablesen: Gestern noch achtete ich darauf, nicht über 150 Schläge zu fahren, heute dagegen war ich froh, wenn der Puls über 130 ging. Nur einmal zu Beginn erreichte ich 140 Schläge. Angesichts dessen bin ich mit einem Schnitt von 20,5 ganz zufrieden.

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Profil des dritten Tages: 150 km, 2500m hinauf, 3200m hinab

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Am nächsten Tag hatte ich mit Thomas ausgemacht, schon früh zu starten. Um 6:30 saßen wir schon auf dem Rad und genossen die wunderbare friedliche Morgenstimmung und die ersten Sonnenstrahlen. Da unsere Unterkunft 15km abseits der Strecke lag hatten wir beschlossen, einen Bogen auszulassen und eine Abkürzung zurück zur Strecke zu nehmen. Das sparte uns etwa 15km. Wir kamen jetzt zum markanten Kegel des Gerbier de Jonc, an dessen Hängen die Loire entspringt. Das Landschaftsbild änderte sich jetzt wieder abrupt. Es ging in die Region der Sucs, einem vulkanisch geprägten Hochplateau mit jenen rundlichen kegelförmigen Bergen und Erhebungen, die hier Suc genannt werden. Diese Landschaft war sicherlich auch einer der Höhepunkte der Tour, auch wenn dafür wieder eine 50 Kilometer Schleife in Kauf genommen werden musste.

Ab St. Marcial wurde es dann richtig voll auf der Strecke da hier einige verschiedene Strecken zusammen trafen. Jetzt merkte man dass die Ardèchoise wirklich eine Massenveranstaltung ist, man fuhr im großen Peloton, wie man es von den belgischen und holländischen Frühjahrsklassikern her kennt. Allerdings mit bedeutend besser organisierten Verpflegungsstationen, da gab es keine Warteschlangen. Es waren Fahrradständer aufgebaut für hunderte von Rädern, die Theken waren teilweise bestimmt 50 Meter lang mit dutzenden von Helfern.

Die letzten Berge liefen dann richtig gut. Auf den 550 Höhenmetern auf den Col de Clavière, der aber zugegebenermaßen mit 3.9 Durchschnittsprozenten relativ leicht zu fahren war, konnte ich die meisten Fahrer überholen, ein nicht enden wollendes Peloton. Zudem waren ab St. Martin am Fuß des Clavière die letzten 45 Kilometer für den Autoverkehr gesperrt, was das Vergnügen noch erhöhte.

Als letzter Anstieg stand der Col du Buisson von der Westseite auf dem Programm, von dem ich schon Tage vorher von verschiedenen Seiten Schauergeschichten gehört hatte. In Serpentinen sollte sich der Anstieg mit bis zu 15% mörderisch steil hinaufziehen. Am Fuße standen dann auch Warntafeln:

Achtung, gleich wird’s steil!
Vorsicht: 15% !!!
Gefährlich!
NOCH 300m !!
NOCH 200m !!
NOCH 100m !!
Viel Glück!

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Und was kam dann: ja gut, vielleicht waren es an einer klitzekleinen Stelle mal 15% aber ansonsten sind wir doch von unseren heimischen Ardennen was ganz anderes gewöhnt. Aber immerhin war ganz nett, dass in jeder Serpentine eine Kapelle, ein Musiker oder eine ganze Gruppe standen und kräftig einheizten, natürlich wimmelte es auch von anfeuernden Zuschauern. Vielleicht kam es mir auch deshalb nicht so steil vor.

Die letzten 13 Kilometer hinab nach St. Félicien und die kurze Gegensteigung wurde dann noch einmal richtig Tempo gefahren, ja, jetzt kam sogar Rennstimmung auf und jeder versuchte, ein geeignetes Hinterrad zu finden. Ich hielt tapfer mit und gab noch einmal alles für den Schlußspurt. Hinter dem Transponderkontakt ließ ich in Siegesstimmung ausrollen, ich glaube jeder hatte hier das gleiche erhebende Gefühl. Der Ort war inzwischen voll von Fahrradfahrern, im Tourdorf kam man nur im Schneckentempo in den Schlangen vorwärts. Ich gab den Transponder gegen Kaution zurück, stellte mich für das Mittagessen an, das im Preis inbegriffen war, holte mein Gepäck ab und fuhr zum 2 Kilometer entfernten Wiesenparkplatz, auf dem mein Auto stand. Direkt neben dem Wagen hatte eine Familie ihr Zelt aufgebaut, die waren die Eintagestour mitgefahren und genossen jetzt die Sonne. Als sie hörten, welche Tour ich gemacht hatte kamen die aus dem Staunen nicht mehr raus. Immer wieder wurde ich beglückwünscht zum Erfolg, immer wieder Bravo und noch ein Foto, als wenn ich gerade die Tour de France gewonnen hätte. Sind schon etwas verrückt, die Franzosen, wenn es ums Rennradfahren geht. Und die Ardèchoise ist anscheinend in Frankreich die Tour de France der Hobbyfahrer. Als ich schon einige 100 Kilometer weit hinter Lyon auf dem Heimweg war, überholte mich hupend und grüßend ein Franzose mit Rennrad auf dem Dach. Der hatte mich anscheinend anhand der Startnummer, die noch am Lenker befestigt war als Teilnehmer und Mitstreiter der Ardèchoise erkannt!

Insgesamt eine äußerst gelungene Veranstaltung. Die Strecke wunderschön, abwechslungsreich und ohne Autoverkehr. Die Stimmung rund um die Strecke in den Dörfern mitreißend, die Organisation hervorragend, Unterkunft und Verpflegung bestens. Vielleicht nächstes Jahr mit einer Krähengruppe?

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Bilder von der Webseite www.ardechoise.com


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